Am 5. März findet der Tag der Kranken statt und setzt jährlich ein Zeichen für die kranken und beeinträchtigten Menschen in der Schweiz. Zu diesem Anlass erzählt Gayatri Neumeier, Pflegefachfrau bei Spitex Zürich Märchen für Kundinnen und Kunden. Wieso Märchen sehr viel mit unserem täglichen Leben zu tun haben, erklärt sie im Kurzinterview:
Woher kommt deine Begeisterung für Märchen?
Märchen sind Mutgeschichten und zeigen immer eine Lösung auf: Die Heldin oder der Held vermag die zu Beginn unüberwindbar scheinende Not schliesslich zum Guten zu wenden. Dabei weisen sie darauf hin, dass wir uns nicht dafür schämen müssen, Hilfe anzunehmen. Wir begleiten Heldinnen und Helden, die durch eine Mangelsituation oft nicht freiwillig aufgefordert werden, hinaus in die Welt zu ziehen. Sie gehen neue Wege und erlernen neue Fähigkeiten, die es ihnen ermöglichen, wieder zu einem glücklichen Leben zu kommen.
Märchen tragen eine Kraft in sich, die uns Mut machen soll, immer vorwärtszugehen und uns dabei weiterzuentwickeln. Märchen sind Wegerfahrungen, die beschreiben, was uns im Leben alles passieren kann und zeigen auf, dass Lösungen immer möglich sind, doch nur dann, wenn wir uns den Herausforderungen stellen. Märchen begeistern mich, da sie alle Lebensthemen behandeln, die uns Menschen auch heute noch beschäftigen. Sie halten lebendige und kraftvolle Bilder für unsere Seele bereit. Ohne Märchen würde mir in meinem Leben etwas sehr Wichtiges fehlen. Dank dem Projekt Sternentaler der Mutabor Märchenstiftung kann ich meine Leidenschaft für Märchen mit Kundinnen und Kunden von Spitex Zürich teilen und ihnen so eine vergnügliche Zeit bereiten.
Wie unterscheiden sich die Märchen, die du älteren Mensch erzählst von jene, die du einem jüngeren Publikum erzählst?
Es gibt einige Märchen für Kinder, aber weitaus mehr für Erwachsene. Wichtig ist, dass die Märchen zum Alter der Zuhörerinnen und der Zuhörer passt. Dies ermöglicht es - sowohl alt wie jung - in die «Haut» der Hauptfigur zu schlüpfen. Das Märchen spiegelt den Zuhörerinnen und Zuhörern Herausforderungen, die sie in diesem Alter selbst erleben können. In welchem Alter wir auch stehen, wir sind immer aufgefordert, unsere innere Kraft zu finden und sie zur Lösung einzusetzen. Heldinnen und Helden müssen Prüfungen durchstehen, kämpfen gegen Drachen, gegen ihre Angst, hegen Zweifel und sind oftmals mutlos. In der Überwindung ihrer inneren Not finden sie ihre Bestimmung.
Wie holst du die Menschen mit den Märchen ab?
Mit einer zum Märchen passenden Dekoration gestalte ich mit ein paar Handgriffen am Tag der Kranken in der Wohnung der Spitex Kundinnen und Kunden einen Erzählraum, der sich von der üblichen Wohnungseinrichtung abhebt. Damit ist das Einstiegstor in die Märchenwelt geschaffen. Freude auf das Bevorstehende und Vertrauen in das, was ich tue, wird aufgebaut und die Zuhörerinnen und Zuhörer können sich nun ganz entspannt auf das Märchen einlassen. Sie tauchen in eine spannende und oft mystische Lebensreise ein, in der sie nichts müssen, sondern dürfen. Die Fantasie der Menschen wird durch freies und lebendiges Erzählen angeregt. Der innere Dialog mit sich und dem Märchen kann beginnen.
Siehst du Gemeinsamkeiten mit deiner beruflichen Tätigkeit als Pflegefachfrau mit dem Märchen erzählen?
Wenn ich Kundinnen und Kunden im Rahmen meiner Aufgabe als Pflegefachfrau besuche, gehe ich ganz auf die körperlichen und psychischen Bedürfnisse ein. Ich pflege die Menschen individuell nach ihrem Bedarf und schenke ihnen meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Als Märchenerzählerin schenke ich ebenfalls meine volle Aufmerksamkeit. Ich erzähle passende Märchen und vermag Kundinnen und Kunden damit in ihren seelischen Bedürfnissen abzuholen.